DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Die ausgehauchte Seele

Österreich ist ein religionsdefiniertes Land. Gott ist kein fescher, alter Mann mit weißem Bart, der von einer Wolke aus ein Wiener Begräbnis mit verfolgt, sondern er ist - schwer zu sagen – etwas Anderes. Er ist jedenfalls kein personales Wesen, obwohl andererseits die Theologen darauf beharren, dass die Zehn Gebote gottgefällig sind, das heißt: von Gott abgeleitet. In der Totenhalle ist jeder Tote definitiv ganz tot. Dort löst sich die Seele der Person vom Leichnam ab. Kann aber auch schon vorher geschehen sein. So genau weiß das niemand. Als Hauch schwebt die Seele ins Weltall hinein, wo sie aber nicht sofort ihre originelle Kraft entfaltet. Weil die Ewigkeit - für sie – noch nicht begonnen hat, befindet sie sich in einer Warteposition. Diese Latenzzeit räumt die Religion der ganzen Sache ein, weil die Seele nicht schon nach dem Hirntod, sondern erst nach der „Auferstehung des Fleisches“ (Bibel), im ewigen Jenseits weiter wesen soll.

Wie nun die Seele ausschaut, ist ebenfalls schwer zu sagen. Es hat sie noch niemand gesehen. Noch niemand hat sie fotografiert. So hässlich wird sie wahrscheinlich nicht aussehen, wie Frank West sie in seinen Neurose – Plastiken gestaltet hat. Bei den Geräten, die man heute in den verschiedenen Wissenschaften anwendet, sollte man die Seele eigentlich schon gesehen haben. ZB. kann man elektronische Teilchen in der Luft als feinste Nebelfäden sichtbar machen (und als Weltraumstrahlenteilchen präsentieren). Doch von der ausgehauchten Seele, die ja als frei gewordene Energie im Weltall nicht verloren gehen will, hat man wissenschaftlich noch nichts gefunden. Nur Geistheiler vermögen diese Hauche zu spüren.

Als Heinz Conrads begraben wurde, brachte die „Kronen Zeitung“ den Witz, dass Conrads aus dem Jenseits gerade zusah und sich über die vielen Trauergäste freute. Dieser Witz passte zum religionsdefinierten Land. Die Seele löst sich vom Leib ab und vereinigt sich mit ihm später wieder. Die Biologie schiebt dieser Autonomie der Seele einen Riegel vor. Sie weist bei einer Seelenregung einen Nervenvorgang respektive einen biochemischen Prozess nach. Mit dem Naturvorgang wird die Seele zwar nicht identifiziert, doch sie wird weitgehend über ihn aufgeschlüsselt. Das Gros der Seele gehorcht physikalischen und chemischen Gesetzen. Die Forscher isolieren die beteiligten Substanzen, sie erkennen sie in ihren Reaktionen, sie stellen die Substanzen her. Am Ende kommen andere Forscher und spezifizieren die Grundlagen einer Menschenseele mit Hilfe der individuellen Erbanlage. Zwar ist der Einzelmensch durch alles das noch nicht rekonstruiert, doch seine Seele hat nichts Autonomes mehr.

Dass die Seele eine Funktion des Leiblichen ist und also auch gemeinsam mit dem Leib erlischt und insofern raumzeitlich arg begrenzt ist, hört man in Österreichs Kultursparten ungern. ZB. moderne Künstler wollen nichts davon wissen, dass das Wichtigste für die meisten Menschen nicht das Weiterleben nach dem Tod ist (und auch nicht die jubelnde Freude oder die Entgrenzung durch Natur). Am meisten ernst genommen werden von den meisten Menschen die materiellen Freuden, die billigen Ablenkungen, die banalen Sorgen und deren Einhegung durch ein praktisches und nüchternes Denken. Mit dieser Tatsache mag sich die Moderne Kunst nicht befassen. Das will sie auch durch fantastische oder experimentelle Gebilde glatt widerlegen. Sie bestätigt – mit einem seltsamen Eifer – die Irrelevanz von Raum und Zeit für die Naturwissenschaften durch ihre eigenen Produkte, die der Kunst.

Johannes Huber, halb Mediziner halb Theologe, behauptet, dass Leib und Seele wieder zueinander finden, weil die moderne Physik sagt, dass einmal verschränkte Teilchen ewig miteinander verbunden bleiben. Hallo!, ruft hier sogar der Laie aus. Die “Kronen Zeitung“ beförderte diesen Unfug ganz und gar, weil sie diese Entsprechung von Leib und Seele als zwei verschiedener, autonomer Teilchen nicht einschränkend kommentierte. (Wir wissen nicht, ob es hierzu einen kritischen Leserbrief gegeben hat, von einem Forscher/ einer Forscherin, die an der Erweiterung des Standardmodells gerade arbeitet). Das besagte Interview funktioniert wie ein Tatsachenbericht von Radio Vatikan. Albert Einstein wird zitiert, der Raum und Zeit für Physik nicht brauchen konnte, und im Anschluss daran wird impliziert, dass sich der Einzelne für die Spanne seines Lebens in Raum und Zeit nur dumm verrennt.

Für das Interview saß Huber im Stift Heiligenkreuz, nachdem er vorher den Kreuzgang auf sich hatte wirken lassen. Ein eleganter, älterer Herr mit Stecktaschentuch und scharfem Hosenbug erinnerte an den Geist des Ortes und spulte seine vorbereiteten Aussagen ab. „Sie sehen mich“, sagte er zur Reporterin, „ich sehe Sie und erlebe diesen Ort und unser Gespräch. Dies alles bleibt in einem großen Gespräch gespeichert. Dadurch ist nicht nur unser Gespräch, auch der Geist des Ortes zeitlos“. So einfach ist Zeitlosigkeit zu haben. Dass der Kreuzgang schon einem „Ungeist“ wie Jörg Lanz – Liebenfels zeitlos erschienen war, hätte die Reporterin erwähnen können.

Stift Heiligenkreuz
Stift Heiligenkreuz mit der uralten, schmalen Kirche

Wenn schon Teilchen, so hätte die große Zeitung, die von Tatsachen handeln will, die Teilchen und die Kerne auf ihrem Weg zur Erde beschreiben können. Wie Atomkerne im Innern der Fixsterne bei Millionen Grad umgewandelt werden. Wie die Strahlengeschosse auf der Erde auftreffen und alle Naturkörper und alle Lebewesen, auch alle Menschen, durchdringen, und wie in den Weltraumstrahlenteilchen die Feinstteilchen drin sind, die in den Kernen und Hüllen der Atome nicht nur kunstvoll angeordnet sind, sondern auch sichtbar gemacht werden können. Sehr im Unterschied zu den Seelen! - Stattdessen hat die „Kronen Zeitung“ eine „Bodenstation Gottes“ besucht, die Huber für ein „Bollwerk des Glaubens“ hält, und hat Metaphern betreffend eine „vierte Dimension“ kritiklos übernommen.

In der Physik und in der Hirnforschung suchte Huber nach Theorie für seinen Glauben „Es gibt IHN trotzdem“. Er fand das Stammhirn als Sitz der Atmung, des Herzschlags usw., das nun auch der Sitz des Glaubens ist. Die Forscher haben aber nicht den christlichen Glauben gemeint, sondern die Neigung des Frühmenschen im Unterschied zum Tier, eine von Riesenmächten gelenkte oder getriebene, zwiespältige Außenwelt ganzheitlich zu erfassen. Der frühe Glaube ist der Aberglaube. Der superlistige Glaube Hubers sitzt im Cortex, bei den grauen Zellen. „Der Glaube“, sagte Huber, „als Reaktion auf Gott ist im Stammhirn lokalisiert.“ Er sagte nicht: „als Reaktion auf die Welt“. Er sagte „auf Gott“. Den setzt er überall voraus.

Zum religionsdefinierten Land gehört dazu, dass die größte Zeitung des Landes die alte Dogmatik an einem kirchlichen Feiertag durchklingen lässt. Nicht: Wie speichert die Pflanze, das Tier, der Mensch die von weit her kommende Strahlung (und wandelt sie im Zellgewebe um)?, sondern: Wie kann der Mensch seine Sterblichkeit durch IHN und die vierte Dimension überwinden? - Als Geistwesen war Gott in der Tat eine Zeitlang denkbar, solange man glauben konnte, dass sich die Seele vom Körper loslöst. Unter dieser Bedingung war er als „Seele der Seelen“ das große und ewige Allhier. Seit aber die Seele eine Funktion des Leibes ist, wirkt Gott nur noch als Spiegelbild der menschlichen Person . Die “Kronen Zeitung“ präsentierte Hubers Religion als neuesten Siegeslauf des Christentums. Damit stellte sie das Gros der Physiker und der Hirnforscher falsch dar. Beim Gehirn sagte sie nicht dazu, dass dieses (wie beim Tier) darauf programmiert ist, Überleben zu ermöglichen, und nicht darauf, Welträtsel zu lösen. Huber: „Die Wissenschaft beweist Gott zwar nicht. Doch sie bestätigt, dass es eine Ewigkeit gibt“ Das ist wieder der in seiner Schlichtheit irreführende Satz! Hat die Wissenschaft die Ewigkeit des Menschen bestätigt? Nein.

Günter Brus, Wiener Spaziergang, 1965
Tod des Heiligen Bernhard, Bild in der Stiftskirche Zwettl. Was die beiden Engel herbeibringen, ist das Leichentuch.

© M.Luksan, Januar 2024

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