Österreich ist ein religionsdefiniertes Land. Gott ist kein fescher,
alter Mann mit weißem Bart, der von einer Wolke aus ein Wiener
Begräbnis mit verfolgt, sondern er ist - schwer zu sagen –
etwas Anderes. Er ist jedenfalls kein personales Wesen, obwohl
andererseits die Theologen darauf beharren, dass die Zehn
Gebote gottgefällig sind, das heißt: von Gott abgeleitet. In der
Totenhalle ist jeder Tote definitiv ganz tot. Dort löst sich
die Seele der Person vom Leichnam ab. Kann aber auch schon
vorher geschehen sein. So genau weiß das niemand. Als
Hauch schwebt die Seele ins Weltall hinein, wo sie aber
nicht sofort ihre originelle Kraft entfaltet. Weil die Ewigkeit -
für sie – noch nicht begonnen hat, befindet sie sich in einer
Warteposition. Diese Latenzzeit räumt die Religion der ganzen
Sache ein, weil die Seele nicht schon nach dem Hirntod,
sondern erst nach der „Auferstehung des Fleisches“ (Bibel),
im ewigen Jenseits weiter wesen soll.
Wie nun die Seele ausschaut, ist ebenfalls schwer zu sagen.
Es hat sie noch niemand gesehen. Noch niemand hat sie
fotografiert. So hässlich wird sie wahrscheinlich nicht aussehen,
wie Frank West sie in seinen Neurose – Plastiken gestaltet
hat. Bei den Geräten, die man heute in den verschiedenen
Wissenschaften anwendet, sollte man die Seele eigentlich
schon gesehen haben. ZB. kann man elektronische
Teilchen in der Luft als feinste Nebelfäden sichtbar machen
(und als Weltraumstrahlenteilchen präsentieren). Doch
von der ausgehauchten Seele, die ja als frei gewordene
Energie im Weltall nicht verloren gehen will, hat man
wissenschaftlich noch nichts gefunden. Nur Geistheiler
vermögen diese Hauche zu spüren.
Als Heinz Conrads begraben wurde, brachte die „Kronen Zeitung“
den Witz, dass Conrads aus dem Jenseits gerade zusah
und sich über die vielen Trauergäste freute. Dieser Witz
passte zum religionsdefinierten Land. Die Seele löst sich vom
Leib ab und vereinigt sich mit ihm später wieder. Die Biologie
schiebt dieser Autonomie der Seele einen Riegel vor. Sie
weist bei einer Seelenregung einen Nervenvorgang respektive
einen biochemischen Prozess nach. Mit dem Naturvorgang
wird die Seele zwar nicht identifiziert, doch sie wird weitgehend
über ihn aufgeschlüsselt. Das Gros der Seele gehorcht
physikalischen und chemischen Gesetzen. Die Forscher
isolieren die beteiligten Substanzen, sie erkennen sie in ihren
Reaktionen, sie stellen die Substanzen her. Am Ende kommen
andere Forscher und spezifizieren die Grundlagen einer
Menschenseele mit Hilfe der individuellen Erbanlage. Zwar
ist der Einzelmensch durch alles das noch nicht rekonstruiert,
doch seine Seele hat nichts Autonomes mehr.
Dass die Seele eine Funktion des Leiblichen ist und also auch
gemeinsam mit dem Leib erlischt und insofern raumzeitlich
arg begrenzt ist, hört man in Österreichs Kultursparten ungern.
ZB. moderne Künstler wollen nichts davon wissen, dass das
Wichtigste für die meisten Menschen nicht das Weiterleben
nach dem Tod ist (und auch nicht die jubelnde Freude oder die
Entgrenzung durch Natur). Am meisten ernst genommen werden
von den meisten Menschen die materiellen Freuden, die
billigen Ablenkungen, die banalen Sorgen und deren Einhegung
durch ein praktisches und nüchternes Denken. Mit dieser
Tatsache mag sich die Moderne Kunst nicht befassen. Das will sie
auch durch fantastische oder experimentelle Gebilde glatt
widerlegen. Sie bestätigt – mit einem seltsamen Eifer – die
Irrelevanz von Raum und Zeit für die Naturwissenschaften
durch ihre eigenen Produkte, die der Kunst.
Johannes Huber, halb Mediziner halb Theologe, behauptet, dass
Leib und Seele wieder zueinander finden, weil die moderne Physik
sagt, dass einmal verschränkte Teilchen ewig miteinander
verbunden bleiben. Hallo!, ruft hier sogar der Laie aus. Die
“Kronen Zeitung“ beförderte diesen Unfug ganz und gar, weil sie
diese Entsprechung von Leib und Seele als zwei verschiedener,
autonomer Teilchen nicht einschränkend kommentierte.
(Wir wissen nicht, ob es hierzu einen kritischen Leserbrief
gegeben hat, von einem Forscher/ einer Forscherin, die
an der Erweiterung des Standardmodells gerade arbeitet).
Das besagte Interview funktioniert wie ein Tatsachenbericht
von Radio Vatikan. Albert Einstein wird zitiert, der Raum und
Zeit für Physik nicht brauchen konnte, und im Anschluss
daran wird impliziert, dass sich der Einzelne für die Spanne
seines Lebens in Raum und Zeit nur dumm verrennt.
Für das Interview saß Huber im Stift Heiligenkreuz, nachdem
er vorher den Kreuzgang auf sich hatte wirken lassen. Ein
eleganter, älterer Herr mit Stecktaschentuch und scharfem
Hosenbug erinnerte an den Geist des Ortes und spulte
seine vorbereiteten Aussagen ab. „Sie sehen mich“, sagte er
zur Reporterin, „ich sehe Sie und erlebe diesen Ort und
unser Gespräch. Dies alles bleibt in einem großen Gespräch
gespeichert. Dadurch ist nicht nur unser Gespräch, auch
der Geist des Ortes zeitlos“. So einfach ist Zeitlosigkeit zu
haben. Dass der Kreuzgang schon einem „Ungeist“ wie
Jörg Lanz – Liebenfels zeitlos erschienen war, hätte die
Reporterin erwähnen können.
Stift Heiligenkreuz mit der uralten, schmalen Kirche
Wenn schon Teilchen, so hätte die große Zeitung, die von
Tatsachen handeln will, die Teilchen und die Kerne auf ihrem
Weg zur Erde beschreiben können. Wie Atomkerne im Innern
der Fixsterne bei Millionen Grad umgewandelt werden. Wie die
Strahlengeschosse auf der Erde auftreffen und alle Naturkörper und
alle Lebewesen, auch alle Menschen, durchdringen, und wie
in den Weltraumstrahlenteilchen die Feinstteilchen drin sind,
die in den Kernen und Hüllen der Atome nicht nur kunstvoll
angeordnet sind, sondern auch sichtbar gemacht werden
können. Sehr im Unterschied zu den Seelen! - Stattdessen
hat die „Kronen Zeitung“ eine „Bodenstation Gottes“ besucht,
die Huber für ein „Bollwerk des Glaubens“ hält, und hat
Metaphern betreffend eine „vierte Dimension“ kritiklos
übernommen.
In der Physik und in der Hirnforschung suchte Huber nach
Theorie für seinen Glauben „Es gibt IHN trotzdem“. Er fand
das Stammhirn als Sitz der Atmung, des Herzschlags
usw., das nun auch der Sitz des Glaubens ist. Die
Forscher haben aber nicht den christlichen Glauben gemeint,
sondern die Neigung des Frühmenschen im Unterschied
zum Tier, eine von Riesenmächten gelenkte oder getriebene,
zwiespältige Außenwelt ganzheitlich zu erfassen. Der frühe
Glaube ist der Aberglaube. Der superlistige Glaube Hubers
sitzt im Cortex, bei den grauen Zellen. „Der Glaube“, sagte
Huber, „als Reaktion auf Gott ist im Stammhirn lokalisiert.“
Er sagte nicht: „als Reaktion auf die Welt“. Er sagte „auf Gott“.
Den setzt er überall voraus.
Zum religionsdefinierten Land gehört dazu, dass die größte
Zeitung des Landes die alte Dogmatik an einem kirchlichen
Feiertag durchklingen lässt. Nicht: Wie speichert die Pflanze,
das Tier, der Mensch die von weit her kommende Strahlung
(und wandelt sie im Zellgewebe um)?, sondern: Wie kann
der Mensch seine Sterblichkeit durch IHN und die vierte
Dimension überwinden? - Als Geistwesen war Gott in
der Tat eine Zeitlang denkbar, solange man glauben konnte,
dass sich die Seele vom Körper loslöst. Unter dieser
Bedingung war er als „Seele der Seelen“ das große und ewige
Allhier. Seit aber die Seele eine Funktion des Leibes ist, wirkt
Gott nur noch als Spiegelbild der menschlichen Person . Die
“Kronen Zeitung“ präsentierte Hubers Religion als neuesten
Siegeslauf des Christentums. Damit stellte sie das Gros der
Physiker und der Hirnforscher falsch dar. Beim Gehirn sagte
sie nicht dazu, dass dieses (wie beim Tier) darauf programmiert
ist, Überleben zu ermöglichen, und nicht darauf, Welträtsel
zu lösen.
Huber: „Die Wissenschaft beweist Gott zwar nicht. Doch sie
bestätigt, dass es eine Ewigkeit gibt“ Das ist wieder der in seiner
Schlichtheit irreführende Satz! Hat die Wissenschaft die Ewigkeit
des Menschen bestätigt? Nein.
Tod des Heiligen Bernhard, Bild in der Stiftskirche Zwettl.
Was die beiden Engel herbeibringen, ist das Leichentuch.
© M.Luksan, Januar 2024
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