DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Wohlwollender Journalismus

Gerd Leitgeb, als er beim KURIER wirkte, schrieb einst den Satz: Wir fördern die Erlauchten, nicht die Erleuchteten! - Das war einerseits vernünftig gesprochen, wenn man an Mussolini und Hitler denkt, auch an den österreichischen Journalismus der 1920 er Jahre, andererseits ist´ s eine Ideologie. Der Satz bedeutet auch, theatralisch formuliert: Komme uns, o Mensch, nicht mit einer Kritik, die das Establishment noch gar nicht approbiert hat. Sei Präsident, Direktor, Minister oder Chefredakteur, dann stelle öffentlich etwas in Frage! Bist du unbekannt, so schweige still! Eine einzige Ausnahme machen wir: Das ist der Kabarettist! Dieser bleibt, sofern er nicht Rundfunk – verbreitet wird, auf seinen Keller beschränkt.

Kritik darf nicht von unten kommen, das ist in Österreich Tradition. Diese hat mit der Ausrottung des republikanischen Systems, des Protestantismus und des Jakobinismus im Habsburgerreich zu tun. Die Historiker haben dazu geforscht, sie haben es nicht vertuscht, doch man hört und liest darüber nur sehr wenig. Der Katholizismus bewachte die Öffentlichkeit. Zwischen den Weltkriegen wurde die Kritik des Einzelnen innerhalb von Partei geduldet (innerhalb von Partei gegen alles außerhalb von Partei). Nach 1945 wurde sie im künstlerischen Untergrund geduldet. Heute gibt es sie im Internet unter der Bedingung, dass rituell vor dem Internet gewarnt wird. Die großen Medien und damit die sogenannte seriöse Öffentlichkeit filtern die Kritik von namenlosen oder ranglosen Personen nicht nur berechtigt, sondern auch unberechtigt aus.

Diese Zensur, über die niemand spricht und die in diesem Sinn auch nicht besteht, hat keine Ähnlichkeit mit der des Metternich. Sie ist nicht geschrieben und sie beruht auf Selbstzensur. Jeder oder jede, die beim Verschwinden von Nachrichten des „Frühjournals“ im „Morgenjournal“ (ORF) beteiligt war, oder jeder oder jede, die Moderationen für Werberahmensendungen (ORF) verfasst hat, oder jeder oder jede, die je für eine Zeitung geschrieben hat, weiß um das Wegstreichen von an sich treffenden Wörtern und Sätzen nur deshalb, weil sie jemandem missfallen könnten. Diese Selbstzensur ergibt sich im Journalismus wie von selbst, dürfte aber in Österreich gesteigert sein.

Dem strukturbedingten „Schuldigwerden“ weicht jener Journalismus aus, der politische Themen meiden und wohlwollend berichten möchte. ZB. Walfrid Reismann, ein Autor aus Niederösterreich mit Schulabschluss in Wien, bei den Schulbrüdern in Strebersdorf, begann beim KURIER als Schreiber von Kolumnen (das „Kleine Bezirksgericht“, „Durchgeschaut“, “Reismann geht durch Wien“). Er hat dieser Zeitung primär unterhaltsame Texte geschenkt und ist dafür von Eberhard Strohal 1971 mit großer Ignoranz bestraft worden. Er wollte über Yassir Arafat in der Wüste berichten und Strohal sagte nur: Lassen Sie das lieber, Herr Reismann, Sie sind ja kein Außenpolitiker! - Da die Anpassung dieses Journalisten löblicherweise nie total gewesen ist, war damit sein Wirken für den KURIER beendet.

Reismann-und-Curd-Juergens
Reismann und Curd Jürgens.

W. Reismann ist das Beispiel eines Journalisten, der die Welt primär gut finden, Routine vermeiden und eine poetische Ader in sich nicht unterdrücken wollte. Routine vermeiden ist etwas Edles. Seinen persönlichen Stil entfalten, das wollte er, und das „Profil“ bot ihm dazu Gelegenheit. Es war die zweite Zeitung, bei der er länger war. Sie bot freilich kein wirklich gutes Gehalt, so wie er es vorher und nachher bei HÖR ZU, der Österreich – Ausgabe der deutschen Fernsehzeitung, bezogen hat. Die Zeit bei „Profil“ regte ihn aber an, denn diese Zeitung war – zumindest in den 1970 ern – die am Meisten kritische in Österreich. Er konnte sich dort eine Schärfe wie bisher nie zuvor erlauben. Nicht nur bei Holocaust – Themen, auch bei Porträts wie zB. über H. Qualtinger, den er realistisch einfing.

Wer zB. über Jazz-Gitti aus Anlass ihres Lebensberichtes schreiben möchte, darf das Faktum nicht verschweigen, dass Gitti die singende Ulknudel nicht deshalb wählte, weil das den Leuten so gut gefiel, sondern weil das der einzige Weg war, sich als monströs aussehender Teenager selbst zu verspotten, ehe das die Gleichaltrigen machten. Es ist auch kein Lebensporträt von Udo Jürgens denkbar, bei dem man weglässt, dass er sich durch forcierte Freundlichkeit zum Lieblingssänger von Spitzenpolitikern gemacht hat (O – Ton Jürgens: Fest anpacken und immer freundlich sein, dann wirst du eines Tages zu denjenigen gehören, die ganz oben sein werden!) - Der wohlwollende Journalismus verstößt gegen das Prinzip der vollständigen Aspekte, weil er hofft, dass die Wahrheit auch beim Weglassen der Schattenseiten einer Persönlichkeit mitgeteilt werden kann.

Nach seiner Zeit bei „Profil“ ging Reismann nicht zu Hans Dichand, der ihm mehr als einmal ein Angebot gemacht hat, sondern er ging zu HÖR ZU. HÖR ZU bezahlte eine höhere Gage als die Kronen Zeitung. Nun porträtierte er hauptsächlich fernsehpräsente Schauspieler und Künstler. Das tat er als Chefreporter in Nobellokalitäten, wo das Magazin sämtliche Spesen aller

am Zustandekommen des Interviews Beteiligten bezahlte. Berühmte Künstler waren erfreut und gingen aus sich heraus, offenbar wissend, dass Reismann (so wie Roman Schließer auch) nur das Gute und Vorteilhafte bringen werde. In jenen Porträts vereinigte sich die prinzipielle Affirmation dieses Journalisten mit seiner Formulierungsgabe. Reismann formulierte persönlich, unter Weglassung schicker journa- listischer Rhetorik. Sein Buch „Zeitenblicke“ enthält einen Teil dieser Porträts. Nüchterne Bewunderung. Gestus von Leben und Lebenlassen. Kritik an den Glitzerwelten nur dann, wenn Reismann diese in Watte packen konnte.

Reismann und Oskar Werner
Reismann und Oskar Werner.

Nach dem Tod von Axel Springer (1985) wurde die österreichische Ausgabe von HÖR ZU eingestellt, Reismann hätte nach Hamburg übersiedeln müssen, um weiter für das Magazin arbeiten zu können. So landete er bei Kurt Falk, der gerade DIE GANZE WOCHE gegründet hatte. Verglichen mit den Zeitungen davor machte Reismann einen Schritt zu einem Skandalblatt hin. Siehe DIE GANZE WOCHE, August 1986, Nr, 34. : Weltstar der Wiener Oper: Gelähmt, verarmt, verwirrt. - Jahrzehntelang zählte sie zu den schönsten und besten Mozart- und Strauß – Sängerinnen. Hilde Güden: versteckt sich - Die Möglichkeiten von Reismann schienen eingeschränkt, denn das Pauschalieren und Weglassen von Details ist kein Kennzeichen seines Stils. Er schaffte es trotzdem, die Vorstellungen des wilden Falk in puncto Skandal - Schreierei zu mildern. Er schrieb relativ gescheite Kolumnen (Scheibenwischer) und lancierte und redigierte historische Serien über verschiedene Epochen. Er schrieb sie auch selber.

In dieser letzten Zeit seines journalistischen Wirkens ist nicht nur die sprachliche Affirmation deutlich, es werden auch die Grenzen seiner Anpassung sichtbar. Bei HÖR ZU hatte Reismann nicht persönlich gegenhalten müssen, doch jetzt in der GANZEN WOCHE wurde es nötig. Er musste nicht nur den wohlwollenden Ton für DIE GANZE WOCHE finden, sondern auch den Herausgeber von der Notwendigkeit dieses Tons überzeugen. In der GANZEN WOCHE, sagte Reismann (im Filminterview mit Herwig Libowitzky), bin ich 19 Jahre geblieben. Das wurde in der Branche als „kleines Wunder“ bezeichnet. Denn mein Herausgeber Kurt Falk galt als sehr eigenwilliger Mensch, um nicht zu sagen, als „Narr“ (…) Die Leute haben mich gefragt: Wie hältst du es mit diesem Menschen so lange aus? - In dieser Zeitung stritten offenbar zwei Persönlichkeiten ständig über Details der Blattlinie und nicht immer zog der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber den Kürzeren.

W. Reismann wird als Chronist, nicht als Poet bestehen bleiben. Peter Rapp sagt über ihn (im Libowitzky – Film): Er hat meine Karriere mitverfolgt, ich die seine. Er bei HÖR ZU, ich im Fernsehen. Ich hab mir immer gedacht: Der ist eigentlich kein Journalist, sondern ein Schriftsteller. - Doch Reismann hat seine Schreibbegabung nicht ausgereizt. Nachdem Kurt Falk gestorben war, hat er nichts Neues mehr versucht. Es ist witzig, dass ausgerechnet der unterschätzte Rapp die diskreten Abweichungen des Reismann so deutlich erlebt hat. Denn ungewöhnlich waren beide, der lässige Moderator genauso wie der sorgfältige Lohnschreiber, trotz ihrer Affirmation. Sie haben durch die Zeiten hindurch Persönlichkeit bewahrt. Rapp wie Reismann: Gegen die Anmassungen der Chefs wie gegen den Ansturm der Moderne.

© M.Luksan, Juni 2024

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