DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Ein österreichisches Wunder

Nach dem Tod von Richard Lugner fragte die Kronen Zeitung seine Exfrau Christina, ob Lugner glücklich gewesen sei. Das bejahte diese Frau. Ihr ehemaliger Gatte war als Unternehmer und Spaßmacher der Nation erfolgreich und glücklich gewesen. Die Frage von Frau Bischofberger zielte aber auf ein spezielles Glück ab: das mit den vielen Frauen. Nun antwortete Christina ausweichend: „Er war insofern glücklich, als er sich ein eigenes Biotop geschaffen hat. Da konnte er machen und sagen, was er wollte.“ (Kr. Ztg., 18.08.24) Diese Antwort bestätigte nicht das Image, an dem Lugner selber mitgearbeitet hatte. Sie betonte nicht den Erotomanen oder „Mann der Frauen“, der jede hübsche Frau begehren muss, die ihm zufällig über den Weg läuft, sondern sie betonte das Machen und das Sagen von Richard Lugner. Christina sprach auch nicht von einem „Harem“, sondern sie sagte „Biotop“ und stellte damit Lugners „Tierchen“ als anspruchslose Frauen, als gutmütige Ja – Sagerinnen hin. Banal war auch der Grund für ihre Scheidung: „Richard hat am liebsten gearbeitet (…) Und am Wochenende und in den Urlauben haben wir gedreht. Das hat uns auseinander gebracht, dass wir keine Zeit mehr für einander hatten.“

Das Bild von Lugner als ehrlichem Gentleman steht ebenfalls zur Diskussion. Georg Wailand erwähnte eine Einladung zum Essen, bei dem er über Vorteile und Nachteile der Wiener Börse – ungebührlich - ausgefragt worden war. Lugner selbst hat ihn später informiert. Sinngemäß: „Ich bin jetzt an der Börse. Ich habe Ihre Ratschläge befolgt!“ (Kr. Ztg., 15.08.24) Auch das Bild vom unbezahlten Entertainer kann nicht aufrecht erhalten werden. Es wurde – spätestens - 2016 durch eine Fernsehsendung zerstört. Richard Lugner war damals Präsidentschaftskandidat und gab unter allen anwesenden Bewerbern die billigsten und dümmsten Antworten ab. Er war nicht präpariert gewesen – er hatte die Fragen vorher nicht gekannt. - An sich überließ dieser schlaue und eitle Mann bei seinen öffentlichen Auftritten nichts dem Zufall. Diesen Wesenszug von Lugner hat der Boulevard nicht verschwiegen: „Schon zu Lebzeiten hat Richard Lugner seine Beerdigung geplant – bis hin zum Grabstein wusste der Baumeister genau, wie sein Abschied laufen sollte.“ (Österreich, 13.08.24)

Bleibt noch das Bild von Lugner als politischem Menschen, dem die Politik wichtig war. In den 1970 er Jahren berücksichtigte er das Gewicht der SPÖ, der damals mächtigsten Partei. Er baute Ende der 1970 er Jahre die einzige Mosche im Land. Für die Eröffnung dieser fremdartigen und etwas komisch aussehenden Kirche gewann er den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten und den Bürgermeister von Wien. Damals alle SPÖ. Zu diesem Zeitpunkt war sein Verhältnis zur FPÖ, der er später seine Lugner City öffnete, gleich Null. Bruno Kreisky, der doppelte Chef (Regierung und Partei), wurde Lugner möglicherweise sogar zum Vorbild. Es gibt ein Foto von Kreisky in einer Opernball – Loge mit Shirley Mc Laine, wo der Kanzler nur dasitzt und hintersinnig lächelt, während die Schauspielerin zum Fotografen spricht.

Kottan-Nostalgie
Richard Lugner, 1995.

Richard Lugner wurde erst im Alter sozusagen politisch. Er wollte die Ladenzeiten öffnen, Zweigleisigkeiten (der Sozialpartner) abschaffen, die Steuerlast der Firmen verringern. Dafür hatte er 1998 eine Partei zur Verfügung, die sich „Die Unabhängigen“ nannte und fast keine Stimmen erhielt. Völlig offen bleibt, was ihn mit der Scientology – Kirche verband, denn Lugner war ein Katholik und ein fairer Arbeitgeber. Die Wahl zum Bundespräsidenten war ihm nur ein Spaß. Sie war nur anderer Weg in die Öffentlichkeit hinein als die jährlich gemietete Opernball – Loge, für sich und irgendeinen weiblichen Star, den er bezahlen musste wie für das Mitwirken in einem Film. In der Politik gewann er Norbert Hofer (FPÖ) als Freund. Hofer war eine Ausnahme im „System Lugner“, das ansonsten dem Geschäftsmann für banale Zwecke diente (der Businessman lernt einen Politiker kennen und ist liebenswürdig, weil er ihn später für einen Gefallen gewinnen will). Die Beziehung zu Hofer war wohl nicht mit einer Absicht verknüpft. Es waren einfach zwei, die einander Komplimente machten. Hofer hielt im Stephansdom die Trauerrede auf Richard Lugner.

Neben allem, was Lugner nicht war und was die Medien über ihn schrieben, fällt etwas auf, das nun wirklich zutraf. Die große Eitelkeit des banalen Baumeisters war mit echter Souveränität verknüpft. Er trug Zylinder, klopfte dumme Sprüche, verkleidete sich als Charleys Tante, trat umringt von sexbetonten Frauen (Weibern) auf, doch er reagierte nicht auf soziale Zurufe und Ermahnungen. „Was für mich peinlich ist“, sagte er einmal, „bestimme ich allein.“ Das kann nicht jeder in unserer Gesellschaft machen. Das ist die Einstellung eines Fürsten. Diese im Grund feudale Einstellung lebte Lugner, das Wiener Original, in der Rolle des Clowns aus. Das war nicht einfach, weil ja die Kommunikation mit dem Sozialen, mit der Gruppe, gleichzeitig gelingen musste. „Der Kontakt mit vielen Menschen gefiel ihm“, sagte Hofer, „zum Beispiel beim Villacher Fasching. Immer bekam er den meisten Applaus.“O – Ton Lugner: „Kasperl zu sein, ist für mich eine Form von Erfolg.“

Die westlichen Demokratien heute sind mit der besseren Zukunft durchaus noch beschäftigt. Aber eben nicht nur. Sie gestalten zunehmend kollektive Stimmungen, mit Hilfe der Medien. aAuf der Basis dieser Gestaltung bleiben Lugner und seine Frauen als Rätsel übrig. Die österreichische Kultur ahndet in toto den abwertenden (auch den latent geringschätzigen) Umgang mit Frauen, den Richard Lugner eindeutig praktizierte. Die Journalisten, die sonst alles scharf beobachten und Fehlverhalten inkriminieren, ignorierten Lugners „Tierchen“, Lugners „Streichelzoo“ usw. vollständig. Auch die Qualitätszeitungen und der ORF berichteten nicht von der „Kulturlosigkeit“ des Richard Lugner. Das war ein seltsames und paradoxes Spiel. Was für jedermann galt, war beim Promi – Kasperl aufgehoben. Zwei Gesellschafts - Journalistinnen schrieben ihm als Nachruf: „Lieber Herr Lugner, wir werden Sie vermissen (…) Wir haben auf Ihre Geschichten gebaut, danke.“ (Heute, 13.08.24)

Richard Lugner war ein origineller Mensch, doch sein Berufsleben war gewöhnlich. Er brachte sich durch Glück, etwas Geld von seiner Mutter und Anpassung im Baugewerbe in die Höhe. Die Aufbaujahre waren günstig. Er durchschaute die Spielregeln der Gesellschaft. (Das Wissen um das Who is Who muss man in Österreich früh haben. Man darf geistig nicht anders sein wollen als alle andern. Einsamkeit und Intellekt muss man meiden. Man muss die Vorteile mancher Eitelkeiten nutzen, die die österreichische Gesellschaft toleriert. Und nicht zuletzt muss man Lebendigkeit und Spontaneität zur Schau stellen. Dann gibt´ s Applaus.) Bei der Beachtung der besagten Regeln war Lugner sehr konsequent. Er förderte per se die Scheinhaftigkeit unserer Kultur. Er lebte seine Vorlieben und kleinen Schwächen öffentlich aus. Das tat er auf Bällen, in einer Reality Show und in der Lugner City. Er gab zum Beispiel nicht nur seiner Lust, sich adrett zu kleiden, sondern auch anderen Affen in sich selber Zucker. Die große Öffentlichkeit war ihm möglich, weil er Kontakte zu Medien unablässig pflegte. Er schmeichelte den Journalisten auch dadurch, dass er sich verkleinerte. (Das tat er auch bei anderen, für ihn weniger wichtigen Personen; zum Beispiel bei seinen Mietern in der Lugner City). Das war seine charmante Manipulation. Durch die Medien und durch sein Opernball – Engagement erfuhr die Welt von ihm als dem originellen Firmenchef im kleinen Österreich mit der düsteren Vergangenheit, der dort der Bevölkerung ein heiteres Savoir Vivre ganz ohne High Society vorlebt.

Als Lugner starb, hat die österreichische Öffentlichkeit die genannten Tatsachen ignoriert. Nicht nur der Boulevard, auch alle öffentlichen Stimmen im Land (also auch die Politiker, auch der ORF) haben seinen Tod wie den Einsturz eines Kolosses inszeniert und sein Leben wie eine Abfolge von Haupt- und Staatsaktionen dargestellt. Der Boulevard titelte maßlos: „Der 12. August wird Österreich in Erinnerung bleiben“, „Ein Vorbild ist von uns gegangen“, „Ein feiner Mensch, dem Ehre gebührt“, „Das ganze Land ist eingeladen - Abschied im Stephansdom“. Es war, als wollte die unterhaltsame Presse über ihre Leser hinaus ganz Österreich in Geiselhaft nehmen. Sie übertrieb nach dem Vorbild von: „Die Österreicher lieben das Royale“ (als der englische Charles die englische Diana heiratete). Dabei war Lugner nur ein Held der Society - Seiten gewesen.

Die Trauerfeiern waren ausladend. In einem Buch in der Lugner City (in der der Mensch auch einkaufen soll) konnten Österreicher und Österreicherin der Family kondolieren. Im Stephansdom konnten er und sie die Messe und die Reden hören, anschließend dem Sarg nach Grinzing folgen. Dort feierte die Family privat weiter. In der Kirche und auf dem Friedhof. Die legendäre Bescheidenheit des Lugner, die in seiner Selbstverkleinerung scheinbar lag, war null und nichtig. Lugner wollte nicht bei seiner geliebten Mutter auf dem Zentralfriedhof begraben sein. Sein Sarg wurde gemäß seines Wunsches einmal über die Ringstraße herum geführt (wie einst der Sarg von Makart). Und das Grab musste eine Gruft sein mit luftdichten Metallsärgen, für die aus England roter Granit eingeführt wurde, der Waldviertler Granit genügte nicht.

Lugners Trauerfeiern waren ein Unfug, wenn man sie mit dem Begräbnis von Brigitte Bierlein vergleicht. (Diese ehemalige Bundeskanzlerin hatte für Österreich etwas Wichtiges tun können. Ergo Staatsbegräbnis. Das bekam Lugner nicht) Man hat bei Lugner weniger reale Handlungen, die dem Land dienen, als Symbole und deren Deutungen gewürdigt. Er war ein wirtschaftlich Tüchtiger, der privat ein pralles Leben führte; er war ein Frauenliebhaber, der nicht ohne sexuell attraktive Frauen sein konnte; er war ein Narr, den man nicht ganz ernst nahm, der aber die Wahrheit sagte etc., und all das war er gar nicht faktisch, sondern nur vermutlich (möglicherweise). Das Ausmaß der Würdigungen bestimmte die Feierlichkeiten zu seinem Tode, in denen die langjährige Selbsterhöhung (Lugner) und die langjährige Aufbauschung (Medien) dümmlich kulminierten.

Der Boulevard spielt einfach sein Spiel, das ihm uneingeschränkt erlaubt wird. Er definiert, was er aufgreift, selbstherrlich selber. Er hat - speziell vor Wahlen – sogar das Image des Politikers in der Hand. Der imaginäre Lugner war für große Medien ein besonders fruchtbares Terrain. Der Grund: er konnte für eine ganze Nation interessant gemacht werden. Jetzt ist der reale Lugner tot, doch das Quotenspiel rund um seine Person hört nicht auf. Sogar in der Zeit der Trauer schafften es die Zeitungsleute, für „die Lugners“ eine neue Aufmerksamkeit zu wecken. So beteuerte Christina, die dritte Ehefrau, dass sie den Bettrand ihres sterbenden Mannes niemals verlassen hätte; und Simone, die letzte Ehefrau, erklärte, dass sie sich um Rampenlicht niemals bemühen werde. Das warf die eine jeweils der andern vor, per Interview. Nun kündigte die Family den Job von Simone in der Lugner City. Der Boulevard zeigte sich bestürzt: Wer tut so etwas einer frischen Witwe an? - In Wahrheit können jetzt große und unterhaltsame Medien von der öden Verteilung von Lugners Erbe mit Emotion berichten.

© M.Luksan, Oktober 2024

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