DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Das Ich in den 1980er Jahren

Im Gasthaus von Altenberg berieten Konrad Lorenz, Rupert Riedl und andere alte und junge Professoren die Vorwürfe, die sie dem „Europäischen Forum Alpbach“ machen wollten. Wegen falscher Themensetzung. Nur technischer Fortschritt und Nur Wissenschaft für Weltfrieden und für Menschheitsfamilie – das war den Altenbergern zu harmlos. Diese Kritik wurde aber nicht öffentlich, sie ergab keine neuen „Todsünden“, von denen die Kronen Zeitung hätte berichten können. (Auch Rupert Riedl, der öffentlich gut ankam, schaffte es nicht, seine angekündigte „Biologie der Kultur“ grund zu legen.)

Um 1980 scheute die Philosophie die großen und vagen Begriffe nicht, die das große Ganze wunderbar erhellen. ZB. nach der Abstimmung zu Zwentendorf und nach der Aubesetzung bei Hainburg entdeckten die Philosophen drei große Menschheits - Gruppen. Es gab die, die nach Profit und Macht strebten (über die Natur ebenso wie über den Menschen); die, denen Frieden und Wohlleben genügten; und die, die beides ablehnten, weil sie sich der Kreativität widmeten. Eine solche Pragmatik kannte und kennt das postmoderne Denken nicht. In ihm steckt die naturwissenschaftliche Chimäre. Man sieht das Leben des Einzelmenschen nicht dauerhafter und nicht bequemer als je zuvor, sondern man sieht es naturwissenschaftlich, nämlich inkohärent und antisynthetisch. Man sieht den Einzelnen von Spannungen beherrscht, gegen die er Drogen und starke Bilder anwendet. ZB. der junge, männliche Kinobesucher bricht unter dem Rollenspiel im Alltag, unter der Deprivation und unter der Entfremdung fast zusammen. Durch die amerikanische Männlichkeit im Hollywood – Kino mildert er aber diese Spannung ab. Das war in den 1980 ern eine Erkenntnis der Medienpsychologie. Diese war bei den James Dean- und Marlon Brando – Filmen der 1950 er Jahre noch nicht gegeben, vielleicht weil es die Medienpsychologie damals noch nicht gab.

Natürlich war das Ich schon um 1950 brüchig und musste ergänzt werden, doch das regte die Denker damals zu keiner Theorie an. Es führte zu keinen schwachen Begriffen. David Riesman behandelte nebenbei das jugendliche Ich in seinem Buch „Die einsame Masse“. Zentral behandelte es Alexander Mitscherlich in seinem Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“. In den 1980 ern wurde das Ich stärker erforscht und stärker bagatellisiert denn je. Es wurde als Objekt der Forschung gewissermaßen sogar verfehlt. In den reich gewordenen Gesellschaften des Westens, wo der Konsum eine viel größere Rolle spielte als in der Nachkriegszeit, wurde das Ich fast für überflüssig erklärt oder zumindest als haltlose Einbildung angesehen. Dabei ging es immer auch darum, dem Konsumdruck stand zu halten.

Geld, Geld und nochmals Geld wurde in den 1980 ern erstmals unkritisch propagiert. Für materiellen Erwerb machte sich das Ich stark und als starkes Ich präsentierten die Massenmedien jeden reichen Mann. Während die Philosophie der Postmoderne die Realität des Ich in Frage stellte, konnten es die Wirtschaft, die Politik, der Sport, das Militär nicht genug stärken. Die besagte Philosophie nahm diesen Zwiespalt auf ignorante Weise hin. Sie missachtete, dass ihre Begriffe außerhalb ihres Bereiches völlig ungültig waren. Ein Teil der französischen Postmoderne drängt sogar den Gedanken auf, dass sie nur an Denkbarkeit, nicht auch an Lebbarkeit interessiert war (M. Foucault starb an Aids, P. Althusser erwürgte seine Frau, N. Poulantzas sprang aus dem Fenster).

In New York pries Susan Sontag die Inhaltslosigkeit moderner Texte, während Daniel Bell das Haltgebende von Inhalt, ungeachtet aller Sprachspiele, betonte. Das Ich ist schließlich nicht nur der Ort für seelische Gesundheit, es ist auch Triebfeder und Bedingung für die Handlung. In Paris aber war man theoretisch konsequent und ernüchterte die Welt durch die Sinn- und die Bedeutungslosigkeit des Menschenlebens. Neben dem Ich wurde auch „der Mensch“ als konstruiert und scheinhaft ausgewiesen. Das fand einst die Industrie okay und wird heute von der Digi – Kultur sehr begrüßt. Welche Menschen, hieß es 1984 beim Streit um das Kraftwerk bei Hainburg, brauchen „den Menschen“ ? - Doch den Strom brauchen alle Menschen!

Die moderne Kunst setzte das Ichlose und das Werklose der vergangenen Jahrzehnte fort. Mechanische Folgen galten weiterhin als große Kunst. Der eine Künstler fotografierte sich jeden Tag zweimal und stellte daraus Serien zusammen. Der andere veröffentlichte die Wörter, aus denen er Gedichte gemacht hätte, wäre er so unmodern gewesen, Gedichte zu schreiben. Das wurde „neue Ehrlichkeit“ genannt. Doch die populären Kritiker der Werbung (wie V. Packard) und die populären Soziologen (wie D. Riesmann) hatten die Paradoxien der Ehrlichkeit in Kunst und Fiktionalität schon vor dreißig Jahren behandelt. Was die Kritiker meinten, war nicht Ehrlichkeit, sondern Verfahrenstransparenz.

In der Fernsehunterhaltung des ORF hörten Serien mit Bezügen (Alpensaga, Ein echter Wiener geht nicht unter) plötzlich auf. Das Publikum ist jetzt jünger, sagten die Redakteure, und wünscht von uns keine Belehrung. Den Polizisten Kottan und seinen Vorgesetzten, der vom Kaffeeautomaten geboxt wird, fand alle zeitgemäßer und natürlicher. Im österreichischen Kino, das ohne staatliche Förderung undenkbar ist, galt der Film „Moos auf den Steinen“ um 1985 als „Tendenzfilm“. Man förderte jetzt haltlose Kopfgeburten wie „Schmutz“ oder „Caracas“, die in leeren Filmhäusern gespielt wurden. Auch im Kinobereich war lediglich die Hanswursterei einigermaßen erfolgreich („Müllers Büro“). Der bereits todkranke Helmut Qualtinger gab der Zeitschrift „Basta“ ein Interview, in dem er die Handlung eines unsäglichen Kinofilmes nacherzählte, der vom Filminstitut gefördert worden war.

Bei den „Filmtagen“ in Wels kamen in den Mitternachtsdiskussionen in einem Kino diverse Manki des österreichischen Films zur Sprache. Reinhard Pyrker, Organisator der Veranstaltungen, bestimmte auch, welcher Film zu welcher Tageszeit in welchem Kino lief. Da machte er sich aber Feinde. Gekränkte liefen zu Minister Rudolf Scholten und klagten ihm ihr Leid. Sofort boykottierte das Gros der Filmemacher die Leistungsschau in Wels. Die vergleichsweise reiche „Diagonale“ wurde gegründet und die „Österreichischen Filmtage“ hörten auf. Pyrker wirkte noch als Codirektor der „Viennale“, wo ihn Ursula Pasterk bald absetzte, sowie als Kompagnon von R. Schwabenitzky, ehe er 1997 starb.

Auch in der Trash – Kultur spielte das Ich eine untergeordnete Rolle. Keine Geschichten gab es, die die realen Nöte des Ich darstellten. Nicht sachlich, nicht tragikomisch und nicht tragisch. Schon vor 1990 wurde in der Zeitschrift des Filminstituts vor dem Reality TV gewarnt, das im ORF um die Jahrtausendwende einzog (Taxi Orange). Die Redakteure führten wieder „die Ehrlichkeit“ im Mund, die aber bei Reality Sendungen ein reiner Witz ist. Zwischen den „Lugners“ in ATV und den Lugners ganz privat lag beinahe eine Kluft. Richard Lugner hat sie nicht verneint. Man machte trotzdem diese Sendungen, weil der Voyeurismus beim Publikum und die eitle Selbst - Performance aller Mitwirkenden so groß ist.

Kottan-Nostalgie
Kottan Nostalgie

Wenn nun das Ich von der Wissenschaft – und von der Kunstmoderne abgewertet war, so spielte es dennoch im Gesellschaftsleben eine große Rolle. Es ist ein Armutszeugnis für die westlichen Kulturen, dass sie die Ich – Aufbauschung nicht breit behandeln und praktisch unterdrücken. Hier findet im Grunde ein Wegschauen statt. Im Modell des Narzissten, der nicht so sehr im eigenen Spiegel als in den Augen der Anderen sein Bild erblickt, erreichte in den 1980 er Jahren die Selbststilisierung des Einzelmenschen neue Höhepunkte. Der Fall Udo Proksch verrät ein Ich, das zB. für die Nachkriegszeit undenkbar ist. Ein Hochstapler probiert unter dem Deckmantel der Kreativität erfolglos sein wirtschaftliches Glück. Da er aber hoch gestellte Politiker für sich gewonnen hat, wagt er den damals üblichen, großen Versicherungsbetrug (Versenken eines Schiffes mit angeblich teurer Fracht), um sich wirtschaftlich zu sanieren. Das Ganze wurde möglich, weil die übermäßige Performance des Proksch mit maximaler Vernetzung verbunden war.

Diese Vernetzung war im Fall Tibor Foco nicht gegeben. Dieser Mord an einer Prostituierten, bei dem gleich zwei Zuhälter Motive hatten (aber nur einer wurde verurteilt, der dann entfloh) wirkt verglichen mit der Tat des Proksch und ganz besonders mit den Morden von Jack Unterweger regional und gehabt und nur für einen Film Noir – Krimi geeignet. Bei dem Serienmörder Unterweger wurde nicht die Politik, sondern die Kulturprominenz getäuscht. Sie hatte sich offenbar einer falschen Idee von Resozialisierung hingegeben. Korrekt dargestellt wurde dieser einzigartigen Fall durch einen englischen Journalisten (John Leake), die heimischen Journalisten waren dazu nicht in der Lage.

Die ersten Grünpolitiker traten in den 1980 er Jahren auf. Sie verbanden sich 1986 zu einem kleinen Block, der die Erhaltung der Natur – zurecht – mit sozialer Gerechtigkeit verband. Mit dem Ich und der Kunstmoderne beschäftigten sich die Grünen freilich nicht. 1989 geschah ein Schritt auf die Vereinheitlichung der Welt hin. Man kann aber nicht behaupten, dass durch dieses Wendejahr die Ich – Schwächung durch Kunst, Wissenschaft und Technik gemildert wurde und deshalb eine vernünftigere Sicht des Ich in den fortgeschrittenen Gesellschaften begonnen hätte.

© M.Luksan, Juli 2024

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